Die Welt braucht Alltagsheldinnen, die zu ihren Stärken UND Schwächen stehen!
Wonderwoman hat perfekte Zähne(?)
Als kleines Mädchen habe ich meinen Daumen gelutscht. Meine Eltern wollten unbedingt eine Lösung finden und kamen auf eine geniale Idee…sie würden mich bestechen. Ich LIEBTE die Serie „Wonderwoman“ und war fasziniert von ihren übermenschlichen Fähigkeiten (und ihrem wunderschönen, wallenden Haar!). Meine Eltern sagten, wenn ich aufhöre am Daumen zu lutschen, würden sie mir ein Paar Wonderwoman Underoos kaufen, eine Kombination aus Unterhemd und Unterwäsche. Noch in dieser Nacht hörte ich auf, an meinem Daumen zu lutschen!
Pokale für ideale Kinder
Ich ging in den Kindergarten und erhielt am Ende des Jahres eine Trophäe als „Rundum-Bestes-Mädchen“. Das festigte meine Entschlossenheit, eine „Wonderwoman“ zu sein, und im Laufe der Jahre vertrauten die Menschen, die mich kannten, auf meine Führungsqualitäten und meine Bereitschaft, Herausforderungen zu meistern. Ich war stark und jeder wusste das.
Eine leise Stimme flüsterte dennoch immer wieder in meinem Ohr: „Aber was passiert, wenn du nicht mehr stark bist?“
In meinem Fall begann ich heimlich zu leiden.
Meisterin der Verschleierung
Als Teenager hatte ich mit den gleichen Turbulenzen zu kämpfen, die mit Verknalltheit und gebrochenen Herzen einhergingen. Ich konnte mit Mathe überhaupt nichts anfangen und musste zu Hause viel Verantwortung tragen, weil meine Eltern so hart arbeiteten und die meiste Zeit weg waren. Sie wollten ganz bestimmt nicht auch noch mit meinen Problemen belastet werden, also lernte ich, eine Meisterin der Verschleierung zu sein. Ich projizierte das Bild einer ausgeglichenen und glücklichen jungen Frau und bewältigte meine Krisen im Privaten. Die Jahre vergingen und die Krisen wurden tiefer. Es wurde immer schwieriger, meinen Schmerz zu verbergen, vor allem weil ich Essen als Trost benutzte. Ich hätte nicht in ein Wonderwoman-Kostüm gepasst, selbst wenn ich es gewollt hätte, aber ich versuchte trotzdem, diese Rolle zu spielen. Es war total zermürbend.
Die Maske fällt
Ich werde ein Gespräch mit meiner Pastorin und Mentorin aus dem Jahr 2003 nie vergessen. Ich erzählte ihr, wie wunderbar alles in der Kleingruppe lief, die ich leitete, und plötzlich sagte sie: „Das bist nicht du. Wer versteckt sich hinter dieser Maske?“ Mein Geheimnis war gelüftet! Endlich wagte es jemand, hinter die Maske zu schauen, die ich so lange hochgehalten hatte, und mein wahres Ich zu sehen! Sie wollte etwas über meine Kämpfe und Schwächen wissen. Sie war wirklich an ALLEM von mir interessiert, und nicht nur an den starken Anteilen. Danke, Marita, dass du keine Angst hattest, mich zu konfrontieren und mich in eine verletzliche Beziehung einzuladen.
Fast 20 Jahre sind seit diesem Gespräch vergangen, und so gerne ich es auch möchte, fällt es mir schwer, mich von Wonderwoman zu trennen. Ich schwelge in der Bestätigung, dass ich als stark und fähig angesehen werde und genieße es wirklich, produktiv zu sein. Ich erhalte große Befriedigung, wenn ich für das Gemeinwohl arbeite und andere in ihrer Schwäche unterstütze. Wenn ich nicht aufpasse, steigere ich mich in eine unrealistische Erwartungshaltung hinein, nur um dann unter der Last der Verantwortung zusammenzubrechen. Schlimmer noch, ich verweigere anderen die Möglichkeit, mich zu unterstützen und wirklich zu wissen, wer ich bin, mit meinen Schwächen UND meinen Stärken.
Wonderwoman adieu!
Ich bin noch nicht ans Ziel angekommen, mich komplett von Wonderwoman zu lösen, aber hier sind ein paar Erkenntnisse, die ich auf dem Weg gewonnen habe:
- Ich bin die Summe von Stärken und Schwächen und finde nur dann tiefe Erfüllung, wenn ich JEDEN Teil von mir akzeptiere und liebe.
- Wahre Intimität erfahre ich durch Schwäche, nicht durch das Zeigen von Stärke. Die befreiendste Erfahrung von allen ist es, trotz meiner Schwächen und Unzulänglichkeiten angenommen und geliebt zu werden!
- Die unrealistischen Ideale, denen ich nachjage (perfekte Ehefrau, Mutter, Karrierefrau) sind unerreichbar und oft die Quelle meiner Erschöpfung, Depression und Wut.
- Ich kann nur dann ein authentisches Vorbild für andere sein (besonders für meine Kinder!), wenn ich lerne, die Teile von mir anzunehmen, die nicht Instagram-würdig sind.
- Es erfordert eine Menge Mut, um Hilfe zu bitten! Es ist wie der Aufbau eines Muskels und ich muss viel üben, bevor ich mich stark darin fühle.
Als Mut-Coach möchte ich dich ermutigen, dein Licht UND deinen Schatten vollständig anzunehmen! Es wird eine Menge Mut erfordern, dir selbst (und anderen!) einzugestehen, dass du nicht so stark bist, wie du vorgibst zu sein. Wenn du aber das Experiment wagst, wirst du reich belohnt werden! Du bist nicht Wonderwoman und musst sie auch nicht sein. Du bist Wonder-ful, so wie du bist, mit all deinen Ecken und Kanten. Die Welt ist bereit, dein wahres Ich zu sehen! Lass es krachen!
Ich hatte die Ehre, bei den diesjährigen Frauenwirtschaftstage in Bühl mitzuwirken. Wer mein Vortrag, „Wunderweib, adieu: die Welt retten kann warten“ sehen möchte, wird hier bei Youtube fündig:
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